Dieser Weg wird, das wusste Sandrina Illes, kein leichter sein. Aber die Duathletin nahm auf ihrem Weg nicht nur alle Hindernisse, sie kam auch ins Ziel. Als hervorragende Fünfte. Und das war nicht selbstverständlich.
Aber der Reihe nach. Begonnen hat alles mit der Anreise. Den Flug von Chicago nach Atlanta verpasste die 35-Jährige. Auch weil ihr Rad nicht beim Großgepäckschalter ankam und sie ohne dieses nicht weiterfliegen wollte. Long story short: Das Rad ist bis heute nicht aufgetaucht.
„Ich weiß nach wie vor nicht, wo es überhaupt ist, kann nur hoffen, dass ich es irgendwann wiederkriege“, so Illes, die nach der Ankunft in Atlanta mit einem Fahrer des Organisationskomitees direkt in den nächstbesten Bike-Shop fuhr, um sich ein Rennrad auszuborgen.
Wie Go-Kart gegen Formel 1-Bolide
Anstatt ihrer Carbon-Rennmaschine (Wert: 10.000 Euro!) musste sich Illes mit einem Einsteiger-Rennrad mit Tiagra-Schaltung begnügen. Das ist, als müsste Formel 1-Pilot Lewis Hamilton mit einem Go-Kart starten.
„Ich habe mich monatelang spezifisch auf die World Games vorbereitet, auch das Material auf diesen Tag abgestimmt – und dann muss ich beim Saison-Höhepunkt mit einem 11-Kilo-Bike starten. Das ist richtig bitter, weil es bei uns bei der Einlaufliste um Sekunden geht. Aber ich bin froh, dass ich es überhaupt hatte, sonst wäre ein Start nicht möglich gewesen.“
Löcher zufahren statt Ausreißversuch
Los ging’s im Railroad Park aber mit dem Laufen. 10 Kilometer galt es zu absolvieren – und Illes lief trotz der schlechten Vorzeichen in der Spitzengruppe mit. Bis zum ersten Wechsel. „Ich habe versucht meinen Optimismus nicht zu verlieren, aber dass es so gut läuft, damit habe ich nicht gerechnet.“
Am Rad passierte, womit zu rechnen war: Illes, die eigentlich einen Ausreißversuch starten wollte, hatte schnell Rückstand auf die Spitze. Womit nicht zu rechnen war: Sie fuhr die Löcher auf dem verwinkelten Stadtkurs – jede Runde hatte 20 45-Grad-Kurven – immer wieder zu.
„Es hat mich bei jedem Antritt aus der Gruppe rausgerissen, aber ich konnte mich jedes Mal wieder ran kämpfen.“ Das ging über 40 Kilometer an die Substanz: „Ich habe normalerweise nie Kreuzschmerzen am Rad, aber ab der Hälfte habe ich gedacht, dass es mir die Bandscheiben raushaut“, musste sie durchbeißen.
Halbes Feld disqualifiziert
„Beim Wechsel war ich einfach nur dankbar, dass ich bis zum Schluss in der Gruppe geblieben bin. Beim zweiten Laufsplit war ich dann aber muskulär komplett kaputt."
Weil die Verfolgerinnengruppe, mehr als die Hälfte des Feldes, falsch geleitet und in weiterer Folge disqualifiziert wurde, lief die Duathlon-Weltmeisterin von 2018 ihr Rennen allein zu Ende. „Nach vorne konnte ich nichts mehr machen, von hinten gab es keinen Druck.“
Und durfte sich im Ziel auch ohne Medaille als Siegerin fühlen. „Mein Kopf ist normalerweise meine Stärke, aber das war die mit Abstand größte mentale Belastungsprobe ever. Ich bin einfach nur happy, wie ich mein Rennen zu Ende gebracht habe.“
Gold ging an die Belgierin Marine Ricour vor Ai Ueda aus Japan und Joselyn Brea Abreu aus Venezuela. Illes hatte als Fünfte 2:11 Minuten Rückstand auf die World Games-Siegerin. 13 Athletinnen wurden disqualifiziert.